Wir sprechen Klartext“
Landesverbandstag 2015 der Unternehmerfrauen im Handwerk Baden-Württemberg
„Papier ersetzt nicht den Verstand und ein dickes Fell nicht das Rückgrat“ – vor über 100 Unternehmerfrauen aus ganz Baden-Württemberg warb Ruth Baumann, Präsidentin des Landesverbands der Unternehmerfrauen im Handwerk (ufh) Baden-Württemberg, um den Einsatz des gesunden Menschenverstands in Wirtschaft, Verwaltung und Gesetzgebung. Mit welchen schwierigen Rahmenbedingungen dieser oftmals zu kämpfen hat, zeigten zahlreiche Gastredner beim Landesverbandstag der ufh in Rust auf. Prominentester Redner, den Moderator Andreas Rieker von der IKK classic ankündigen durfte: Dr. Walter Döring. In seiner fundierten, informativen und fesselnden Festrede zeigte der ehemalige baden-württembergische Wirtschaftsminister die Herausforderungen und Chancen für das Handwerk in den kommenden Jahren auf.
Zwar stehe die deutsche Wirtschaft derzeit glänzend da, doch bleibe das nicht ewig so, denn Deutschland sei ein „Kraftprotz auf Zeit“, zitierte Döring das Handelsblatt. Eine große Herausforderung dabei sei der demographische Wandel: „Wir werden weniger, wir werden älter, wir werden bunter und wir werden weiblicher.“ Den Bevölkerungsrückgang und das steigende Durchschnittsalter könnten auch die derzeit eintreffenden Flüchtlingsströme nicht kompensieren. Gleichzeitig warnte Döring, dass die Zuwanderung und die damit verbundenen Herausforderungen „uns auf Jahre beschäftigen werden“. Frauen schließlich hätten in der Mehrheit bessere Abschlüsse und seien höher qualifiziert, doch dieses „unglaubliche Potenzial an qualifizierten Frauen“ werde nicht ausgeschöpft. Die Wirtschaft und das Handwerk müssten die „ungenutzten Potenziale“ Frauen, Immigranten und ältere Menschen zunehmend für sich nutzen.
In der Realität jedoch strömten die meisten jungen Menschen nach der Schule an die Universitäten. Angesichts von 30 Prozent Studienabbrechern nannte Döring diese Entwicklung eine „völlige Fehlleitung“, zumal es gleichzeitig zu wenig Lehrlinge gebe. „Der Meister im Handwerk ist für die Gesellschaft so wichtig wie der Doktor von der Universität.“, sagte Döring und forderte, die duale Ausbildung zu stärken und den Meisterbrief zu erhalten.
Chancen für das Handwerk sieht der Wirtschaftsminister a.D. in der Energiewende und im demographischen Wandel, sprich dem barrierefreien Bauen.
Auch Johannes Ullrich, Präsident der Handwerkskammer Freiburg, betonte die Bedeutung der Zuwanderung für das Handwerk und forderte, dass Betriebe, die junge Flüchtlinge ausbilden, eine Zusicherung für ein Bleiberecht der jungen Menschen auch nach der Ausbildung erhalten.
„Wir müssen mehr den Blick auf die jungen Mädchen in den Schulen richten und sie für die duale Ausbildung begeistern. Wir brauchen sie in den technischen Gewerben“, sagte Oskar Vogel, Hauptgeschäftsführer des baden-württembergischen Handwerkstags (BWHT). Auch Tilman Petters, Baubürgermeister der Stadt Lahr, und Andreas Drotleff, Kreishandwerksmeister Ortenau, stießen in das gleiche Horn. Bundestagsmitglied Peter Weiss (CDU) schlug den ufh als Ziel vor, den Frauenanteil in der Selbstverwaltung deutlich zu erhöhen.
Dass gesunder Menschenverstand und Arbeitsrecht nicht immer deckungsgleich sind, bewies die lebhafte Diskussion beim Fachvortrag des Arbeitsrechtlers Dr. Peter Rambach, der über „Bekanntes und Überraschendes aus der arbeitsrechtlichen Praxis“ berichtete. Auf erfrischende Art und Weise brachte er den Unternehmerfrauen Neuregelungen im Elternzeitgesetz, beim Mindestlohn und im Urlaubs- und Kündigungsrecht nahe.
Bedenkenswerte Anregungen nicht nur für den beruflichen Alltag, sondern für das Leben an sich gab der Keynote-Speaker Marc Gassert in seinem eindrucksvollen und berührenden Vortrag zum Abschluss des Landesverbandstags. „Positives Denken reicht nicht. Man muss auch kontinuierlich dranbleiben“, warb er für das Training der Willenskraft. Was man mit Willenskraft und Konzentration alles erreichen kann, bewies Gassert, der selbst sechs Sprachen spricht, nicht nur mit Beispielen in seinem Vortrag, sondern auch live mit einem Probanden aus dem Publikum.
Dass der Landesverbandstag 2015 den Unternehmerfrauen in guter Erinnerung bleibt, dafür sorgten nicht nur die hochkarätigen Vorträge, sondern auch das bunte Abendprogramm mit Sektempfang, Modenschau, Schattentheater, Fünf-Gänge-Menü und Tanz – und nicht zuletzt ein kurzer Besuch des Europa Parks. Und wenn der Landesverbandstag 2017 wieder in Rust stattfindet, gibt es vielleicht sogar schon eine neue Attraktion: Mauritia Mack vom Europa Park Rust stellte nach der Begrüßung durch Daniela Messerer und Rita Pertschy, Vorsitzende des ufh-Arbeitskreises Oberschopfheim und Offenburg, das neue Projekt vor: den Bau eines Wasserparks in der Nähe des Europa Parks.
Bettina Uhrmann